Verquert durch den Norden (1)

Veröffentlicht von Stefan Harzmeier am

Geplant war ein Flug in Richtung Schleswig-Holstein. Heraus kam ein wilder Ritt durch unbekanntes Terrain mit einem unerwarteten Ende.

Die Vorhersage am Freitagabend für den kommenden Samstag war vielversprechend. Nördlich der Linie Münsterland / Lüneburger Heide sollte es Wolkenthermik geben. Da Kaltluft für den Vorhersagebereich angesagt war, gab es begründete Hoffnung auf richtig gutes Segelflugwetter mit Flugmöglichkeiten bis hin zur Küste. Ich hatte am Samstag Zeit und war voller gespannter Vorfreude. Am Samstag morgen lautete die Vorhersage des Deutschen Wetterdienstes in etwa folgendermaßen: „Gute, im Nord- und Nordosten sehr gute Wolkenthermik. Der Wind dreht im Tagesverlauf von Nordost auf Nord“. Das klang danach, als ob das wirklich gute Flugwetter in Richtung Schleswig Holstein zu finden sein würde.

Also machte ich im Kopf Pläne für einen Flug in Richtung Schleswig Holstein. Das Wetter sah so aus, wie vorhergesagt – auch wenn die Linie Münsterland / Lüneburger Heide nicht ganz passte: morgens befand sich die Wettergrenze bei uns in Platznähe. So dauerte es, bis die letzte Cirruswolkenschicht von der Sonne weggebrannt war und sich die ersten Cumuluswolken bildeten. Genug Zeit also, um sich ausgiebig mit dem Flieger und der Streckenplanung zu beschäftigen. Ich drehte und wendete die ICAO-Karten in alle Richtungen und großzügig plante ich als Wendepunkte Bad Zwischenahn, Itzehohe und Flensburg ein. Das wäre was, ca. 450 km – einmal bis zur dänischen Grenze! Ein Gebiet in dem ich noch nie vorher geflogen war. Meistens fliegt man von unserem Platz bei gutem Wetter in den Osten oder Süden. Die Wetterlagen, bei denen es Sinn macht nach Norden zu fliegen, sind eher selten. Wenn es sie dann gibt, bietet sich dann manchmal die Möglichkeit bis an die Nordseeküste zu fliegen.


Leider kannte ich solche Flüge bisher nur von Fotos.


Die Flugplanung in der Wiese am Start war entspannt, aber eigentlich viel zu spät, wenn man es wirklich auf viele Kilometer anlegt. Egal, plötzlich saß ich im Flieger und signalisierte Startbereitschaft. Ich war der erste und einzige an diesem Tag, der vorhatte, mehr als eine Platzrunde zu drehen.

Die erste Wolke zog mich keine Minute nach dem Ende des Windenschlepps mit entspannten 1,5 m/s Steigen bis fast an die Wolkenuntergrenze in 700 Meter. Viel höher hätte es sowieso nicht gehen dürfen, da in ca. 750 Meter der kontrollierte Bremer Luftraum beginnt, für den wir zu diesem Zeitpunkt noch keine Sonderfreigabe hatten. Die Wolken standen dicht zusammen, so dass ich mich trotz der geringen Höhe gleich auf den Weg in Richtung Wildeshausen machte.

Jede Wolke auf dem Weg dorthin funktionierte zuverlässig, so dass ich kaum kreisen musste, um Höhe zu gewinnen. Das erste Steigen ohne Luftraumbegrenzung nach oben ging gleich mit 2 m/s hoch auf 850 Meter. Ingesamt waren für den Tagesverlauf Maximalhöhen zwischen 1100 Meter und 1400 Meter vorhergesagt. Die tausend Meter überstieg ich nur kurze Zeit später in Richtung Ahlhorn.

Ahlhorn? Der erste Wendepunkt sollte doch Bad Zwischenahn sein – da liegt Ahlhorn nicht wirklich auf der direkten Linie. Da es in diese Richtung aber deutlich besser aussah und ich bei dem starken Nordwind auf eine Wolkenstraße direkt in Richtung Bad Zwischenahn spekulierte, entschloss ich mich diesen kleinen Umweg zu fliegen. Dort angekommen fand ich leider keine Wolkenstraße vor, allerdings bildete ich mir ein, so etwas wie eine Aufreihung zu sehen und dass die Wolken in diese Richtung jetzt ein wenig besser aussahen. So flog ich ohne große Probleme in Richtung Zwischenahner Meer. Ca. 15 Kilometer vor der ersten Wende wurden die Wolken irgendwie wieder schlechter, das Steigen unrund und die Wolken zerissen. In Richtung der Weser nördlich von Bremen, sah es nicht besser aus. Das war eigentlich das Gebiet, wo ich als nächstes hinwollte…


Ein leichtes Unbehagen machte sich in der Magengegend breit. Plötzlich sah ich über dem Zwischenahner Meer zwei Segelflugzeuge kreisen. Das erleichterte die Entscheidung, nun einfach den ersten Wendepunkt anzufliegen.

Bad Zwischenahner Meer
Bad Zwischenahner Meer

Den Segelflugplatz Rostrup und einige Leute dort kannte ich gut – schließlich hatte ich dort vor fast 15 Jahren geheiratet 🙂 Die Entscheidung fiel also nicht schwer. Seit der Hochzeit war ich in dieser Gegend auch nie wieder selbst mit einem Segelflugzeug unterwegs.

Für meinen Geschmack und für die relativ geringe Basishöhe fast ein wenig zu niedrig, kam ich dort in 700 Meter Höhe an. Ich flog die Thermik ab, in dem die anderen Segelflugzeuge kreisten. Mit wenig Begeisterung betrachtete ich das Variometer. Mehr als ein Meter Steigen hätte es schon sein dürfen. Ich beschloss mich nicht dem Herdentrieb hinzugeben und versuchte besseres Steigen zu finden. Direkt an der westlichen Seekante fand ich zumindest 1,5 Meter. Ich schaute nach unten sah direkt auf das Wasser und auf einige einzelne Boote.

Im ersten Moment fühlte sich das ziemlich ungewohnt an nicht mehr über dem Land zu kreisen.

Mein Blick fiel auf die Kirche in Bad Zwischenahn. Dort hatten wir damals geheiratet. Mein Schwiegervater hatte nachmittags nach der Trauung sogar unseren Pastor in den Flieger geladen, um ihm seinen Arbeitsplatz mal aus der Perspektive vom Chef zu zeigen. Ich ließ einige Erinnerungen Revue passieren und bemerkte viel zu spät, dass ich inzwischen eher bei 0 Meter Steigen angekommen war.
Jetzt musste eine Entscheidung her. Bad Zwischenahn hatte ich im Sack, aber wie ging es weiter? In Richtung Delmenhorst, sah es durch die nahe Wettergrenze fast so aus, als wäre der Rückweg schon verbaut. In Richtung Osten sah es auch nicht besonders einladend aus. Ich wollte Fliegen – Aufgeben kam also noch nicht in Frage. Der Plan sich Richtung Schleswig Holstein zu orientieren, ging aber offensichtlich auch nicht auf.

Ich beschlosses, es weiter in Richtung Norden zu versuchen. Dort schien die Sonne und ein Absinken der Wolkenbasis war nicht wirklich zu erkennen. Die Wolken waren zwar irgdenwie merkwürdig luftig, aber das passte insgesamt zur Landschaft, der man optisch nicht zutraut, überhaupt Thermik zu entwickeln.


Ich flog weiter und irgendwie klappte es auch. Nach jeder Wolke dachte ich: „Die nächste sieht aber doch eigentlich besser aus als die gerade eben“ und so hangelte ich mich gegen den 22km/h starken Gegenwind mühsam vorwärts. Über 1100 Meter ging es nun nicht mehr hinaus. Dennoch rückte der Jadebusen beeindruckend immer näher ins Bild. Hier war ich noch nie. Ganz am Horizont war Wangerooge zu sehen und direkt vor mir baute sich langsam Wilhelmshaven auf.

Jadebusen

Plötzlich meldete der Rechner, dass ich mich der RMZ Wilhelmshaven näherte und riß mich aus meiner Fotosession, die ich gerade machte. Ich wechselte auf die Frequenz von Wilhelmshaven und war gespannt, was es dort zu hören gab: nichts. Absolute Stille. Ich fühlte mich irgendwie einsam hier oben, über einer Gegend die ich kaum kannte und die eigentlich gar nicht für Segelflug gemacht zu sein schien. Kein einziger Flieger weit und breit. Zusätzlich wurden die Füße auch langsam kalt. Ich beschloss weiter in Richtung Westen zu fliegen, da die Thermik hier nicht besser wurde.

Die Sonne schien nun wieder von der Seite ins Cockpit und es fühlte sich gleich viel besser an. Irgendwann musste ich bei diesem Kurs auf die Ems und den Dollart stoßen. Auch dort war ich noch nie fliegerisch unterwegs. Ich warf einen Blick auf die Karte, um herausfinden, ob es auf diesem Kurs irgendwelche Lufträume zu beachten gab. Nach einem kleinen Kampf mit der Karte und der richtigen Trimmung des Flugzeugs stellte ich fest, dass ich ungehindert bis zur holländischen Grenze durchfliegen könnte.

Kategorien: Erlebnisse

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